ROG: Deutsche Botschaft darf Visumanträge aserbaidschanischer Exil-Journalisten in Georgien nicht verschleppen
(Diese Meldung auf der ROG-Webseite: http://t1p.de/8k10)
25.08.2017 – Reporter ohne Grenzen (ROG) appelliert an die deutsche Botschaft in Georgien, Visumverfahren für verfolgte aserbaidschanische Exil-Journalisten nicht zu verschleppen. Jüngster Anlass ist der Fall des Journalisten Javid Abdullajew. Der Mitarbeiter des in Berlin ansässigen Exil-Nachrichtenportals Meydan TV bemüht sich zusammen mit seiner Frau seit Anfang Juli erfolglos um ein Visum für einen dreimonatigen Aufenthalt in Deutschland.
Aus Aserbaidschan geflüchtete Journalisten und ihre Familien stehen in Georgien unter zunehmendem Druck. Ende Mai wurde der Exil-Journalist Afgan Muchtarli aus der Hauptstadt Tiflis nach Aserbaidschan verschleppt, wo ihm nun der Prozess gemacht wird. Seine Ehefrau Lejla Mustafajewa, die ebenfalls als Journalistin arbeitet, hatte zuvor ein Stipendium des Europäischen Zentrums für Presse- und Medienfreiheit in Leipzig nicht antreten können, weil die deutschen Behörden ihr kein Visum erteilten.
„Spätestens seit der Entführung von Afgan Muchtarli ist klar, dass aserbaidschanische Exil-Journalisten in Georgien nicht sicher sind“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Die deutsche Botschaft in Tiflis muss diese akute Bedrohungslage endlich ernst nehmen und darf schutzsuchende Journalisten nicht durch bürokratische und restriktive Visumverfahren vermeidbaren Gefahren aussetzen.“
In den vergangenen Jahren sind Dutzende unabhängige Journalisten und Menschenrechtsverteidiger vor der massiven Repression in Aserbaidschan in das benachbarte Georgien geflohen. Inzwischen erleben sie jedoch auch im Exil Einschüchterungsversuche und Verfolgung. Seit der Entführung Muchtarlis müssen sie in Georgien auch mit der Angst leben, ebenfalls nach Aserbaidschan entführt zu werden, wo ihnen Folter und lange Haftstrafen drohen. Obwohl Reporter ohne Grenzen auf diese Entwicklung wiederholt aufmerksam gemacht hat, verweigern deutsche Behörden in Georgien lebenden Exil-Journalisten aus Aserbaidschan immer wieder die Einreise.
BOTSCHAFT VERLANGT ZUSÄTZLICHE UNTERLAGEN UND VERTRÖSTET
Javid Abdullajew arbeitet seit Anfang 2014 für Meydan TV und hat unter anderem über die Manipulation der Kommunalwahlen in Aserbaidschan im Dezember 2014 berichtet. Seine Ehefrau Fatima Karimowa stieß nach Abschluss ihres Journalismus-Studiums in Georgien im vergangenen Herbst ebenfalls zum Team von Meydan TV. Die Online-Nachrichtenplattform wurde 2013 zunächst als Exil-Fernsehsender mit Unterstützung von ROG gegründet, um unabhängige Nachrichten aus und über Aserbaidschan zu verbreiten. Seitdem hat sich Meydan TV zu einer wichtigen unabhängigen Informationsquelle für Aserbaidschan entwickelt und ist auch für westliche Medien eine anerkannte Nachrichtenquelle geworden.
Reporter ohne Grenzen und Meydan TV haben Abdullajew und Karimowa gemeinsam zu einer dreimonatigen, mit einem Stipendium verbundenen Hospitation nach Deutschland eingeladen, die ursprünglich am 17. Juli beginnen sollte. Am 5. Juli versuchten Abdullajew und Karimowa, bei der deutschen Botschaft in Tiflis die Unterlagen für nationale – also auf Deutschland begrenzte – Visa einzureichen. Dort akzeptierte man ihre Dokumente nicht und forderte die Journalisten auf, Schengen-Visa zu beantragen. Dies taten beide am 7. Juli.
Nun teilte die Botschaft ihnen mit, sie müssten Aufenthaltserlaubnisse für Georgien vorweisen, die mindestens sechs Monate nach ihrer geplanten Rückkehr ins Land gültig sein müssten. Beide hatten zu diesem Zeitpunkt gültige Aufenthaltsgenehmigungen für Georgien, besorgten jedoch wie gefordert neue, für ein Jahr gültige Titel und reichten am 4. August ihre vollständigen Unterlagen für Schengen-Visa ein.
Laut der Website der Botschaft beträgt die regelmäßige Bearbeitungszeit für Visumanträge sechs Arbeitstage. Nach Ablauf dieser Zeit hakte Abdullajew bei der Botschaft nach. Dort teilte man ihm mit, über die Anträge sei noch nicht entschieden, und die Bearbeitung könne bis zu drei Monate dauern. Ein Grund für die längere Bearbeitungszeit wurde ihm nicht genannt.
AUS DEM EXIL VERSCHLEPPT UND IN ASERBAIDSCHAN INHAFTIERT
Afgan Muchtarli lebte vor seiner Entführung zwei Jahren lang im georgischen Exil und war als scharfer Kritiker des Regimes in Aserbaidschan bekannt. Seinem Anwalt Elchin Sadigov zufolge wurde er am Abend des 29. Mai in der Nähe seines Wohnhauses in ein Auto gezwungen, wo ihn Unbekannte fesselten und schlugen. Sie platzierten mehrere tausend Euro in seiner Tasche, bevor er sich in den Händen des aserbaidschanischen Grenzschutzes wiederfand.
Muchtarli wird des Schmuggels und illegalen Grenzübertritts beschuldigt (http://t1p.de/byja, http://t1p.de/ps34). Derzeit sitzt er in Aserbaidschan in Untersuchungshaft. Reporter ohne Grenzen und 22 weitere Nichtregierungsorganisationen haben die georgische Regierung aufgefordert, die Umstände von Muchtarlis Entführung umfassend zu untersuchen (http://ogy.de/aslv). Die Regierung in Tiflis hat den Verdacht zurückgewiesen, georgische Sicherheitskräfte könnten an der Tat beteiligt gewesen sein (http://ogy.de/golg).
Muchtarli hatte sich im Herbst 2016 an ROG gewandt und um Hilfe für seine Familie gebeten, die unter den immer schwierigeren Bedingungen für aserbaidschanische Regimegegner in Georgien litt. Die Behörden in Tiflis hatten seiner Ehefrau Lejla Mustafajewa, die ebenfalls als Journalistin arbeitet, im September 2016 eine Aufenthaltsgenehmigung mit der Begründung verweigert, dies gefährde die Sicherheit Georgiens. Nach der Entführung Muchtarlis bot ihr die Regierung die georgische Staatsbürgerschaft an, was Mustafajewa zurückwies (http://ogy.de/qc5s).
Zum Zeitpunkt seiner Entführung recherchierte Muchtarli für das Organized Crime and Corruption Reporting Project zu den Geschäftsverbindungen der Familie von Aserbaidschans Präsident Ilcham Alijew (http://ogy.de/1fay). Anfang Mai erschien auf der regierungsfreundlichen Webseite haqqin.az ein Artikel über eine angebliche anti-aserbaidschanische Untergrundbewegung in Georgien, die versuche, die Regierung in Baku zu stürzen (http://t1p.de/2ogf). Haqqin.az wird Beobachtern zufolge in der Bakuer Elite gelesen, um zu erfahren, wer in Ungnade gefallen und deshalb als nächstes von Entlassung oder Festnahme bedroht ist (http://t1p.de/anzf).
KEINE SICHERHEIT MEHR IN GEORGIEN
Muchtarlis Ehefrau Mustafajewa hat berichtet, Unbekannte stellten ihr und ihrem Sohn nach und versuchten sie einzuschüchtern; nach ihrer Überzeugung handele es sich um die gleichen Personen, die ihren Mann vor dessen Entführung beobachtet hätten (http://ogy.de/yces). Auch andere aserbaidschanische Journalisten im georgischen Exil berichten von Drohungen und Einschüchterungsversuchen. Im April wurde Jamal Ali, Musiker und Produzent für den aserbaidschanischen Exil-Sender Meydan TV in Berlin, am Flughafen in Tiflis an der Einreise gehindert. Möglicherweise hing dies mit einem Bericht zusammen, in dem er kurz zuvor kostenlose Gaslieferungen Aserbaidschans an Kirchen in Georgien kritisiert hatte (http://t1p.de/kytv).
Georgien hat sich seit einigen Jahren zum Zufluchtsort aserbaidschanischer Oppositioneller entwickelt, während das Regime in Baku immer härter gegen Kritiker vorging und bürgerliche Freiheiten beschnitt. Sowohl nach den Protesten gegen den konzertierten Machtwechsel von Hejdar Alijew zu seinem Sohn Ilcham im Oktober 2003 als auch nach Straßenprotesten gegen das autoritäre Regime im März 2013 flüchteten zahlreiche Aserbaidschaner ins politisch liberalere Nachbarland.
Doch seit die beiden südkaukasischen Länder wirtschaftlich und politisch enger zusammenrücken, wächst der Druck auf Exil-Aserbaidschaner in Georgien. Das Land hängt in hohem Maße von Energielieferungen seines rohstoffreichen Nachbarn ab, während Aserbaidschan Georgien als Transitland für Öl und Gas für europäische Märkte braucht (http://t1p.de/kytv).
Aserbaischan steht auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen am unteren Ende auf Platz 162 von 180 Staaten, Georgien auf Platz 64. Mindestens 14 Journalisten und Blogger sitzen in Aserbaidschan derzeit wegen ihrer Arbeit im Gefängnis. Weitere Informationen zur Lage der Journalisten in Aserbaidschan finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/aserbaidschan, mehr zur Situation in Georgien unter www.reporter-ohne-grenzen.de/georgien.
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Reporter ohne Grenzen
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