ROG: Gewalt gegen Journalisten in Honduras schafft Klima der Angst und Straflosigkeit
(Diese Meldung auf der ROG-Webseite: http://t1p.de/7b75)
23.11.2017 – Reporter ohne Grenzen (ROG) ist besorgt über den fortschreitenden Verfall der Pressefreiheit in Honduras. Anlässlich der Parlaments- und Präsidentenwahl am kommenden Sonntag (26.11.) fordert ROG die honduranische Regierung auf, endlich glaubwürdige Ermittlungen zu den vielen ungeklärten Morden an Journalisten voranzutreiben und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Das 2015 geschaffene Schutzprogramm für bedrohte Journalisten muss umfassend reformiert werden, um eine ernstzunehmende Anlaufstelle für die Betroffenen zu werden.
„Die Medienfreiheit in Honduras ist in einem katastrophalen Zustand. Morde an Journalisten, Gewalt, Drohungen und Justizschikanen haben ein Klima der Angst und Selbstzensur geschaffen“, sagte ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. „Der künftige Präsident muss dafür sorgen, dass auch oppositionelle Journalisten in Honduras endlich wieder ihre Arbeit tun können, ohne um ihr Leben zu fürchten.“
Die Ermordung der international bekannten Umweltaktivistin Berta Cáceres im März 2016 brachte die Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger und Journalisten kurzzeitig ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit. Doch für Medienschaffende ist Honduras schon seit Jahren eines der gefährlichsten Länder Lateinamerikas. Von Anfang 2001 bis August 2017 wurden nach Angaben der Nationalen Menschenrechtskommission 70 Journalisten und Medienmitarbeiter gewaltsam getötet; für 91 Prozent dieser Fälle wurde niemand zur Rechenschaft gezogen (http://ogy.de/my5t).
Allein seit dem Amtsantritt von Präsident Juan Orlando Hernández Anfang 2014 sind in Honduras mindestens vier Journalisten in direktem Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit ermordet worden. Zuletzt erschossen am 13. September Unbekannte in Tegucigalpita den Fernsehjournalisten Carlos William Flores, der kritisch über Agrar- und Umweltthemen berichtet hatte (http://ogy.de/vbc7).
Bei vielen anderen Morden bleiben die Motive der Täter mangels verlässlicher Informationen und glaubwürdiger Ermittlungen ungeklärt. So wurde am 23. Oktober in Copán der Kameramann Carlos Oveniel Lara Domínguez vom Fernsehsender Canal 12 auf dem Weg zur Arbeit erschossen; er hatte zuvor Todesdrohungen erhalten (http://ogy.de/z855). Am 17. Januar lockten in San Pedro Sula vier Bewaffnete den Polizeireporter Igor Abisaí Padilla Chávez während eines Drehs in einen Hinterhalt und erschossen ihn. Zuvor soll er eine schriftliche Todesdrohung erhalten haben (http://ogy.de/lnjw).
MANGELHAFTER SCHUTZ FÜR BEDROHTE JOURNALISTEN
Félix Molina, Moderator bei den oppositionellen Sendern Radio Globo und Radio Progreso und einer der bekanntesten Journalisten in Honduras, überlebte im Mai 2016 an einem einzigen Tag zwei Mordanschläge. Er hatte immer wieder kritisch über ein umstrittenes Wasserkraftprojekt berichtet. Kurz vor den Anschlägen auf ihn hatte Molina auf die mögliche Verwicklung ranghoher Politiker in den Mord an Berta Cáceres hingewiesen, die sich gegen dasselbe Energieprojekt engagiert hatte. Inzwischen lebt Molina als politischer Flüchtling in Kanada.
Zur Flucht ins Ausland sah sich Ende 2016 auch Milton Robles vom Nachrichtenportal Criterio.hn gezwungen. Nachdem er über eine „Kriegssteuer“ lokaler Verbrecherbanden berichtet hatte, erhielt er fortgesetzte Todesdrohungen. Aus Furcht, auch in den Nachbarländern nicht sicher zu sein, beantragte er Asyl in Spanien (http://ogy.de/ngrq).
Das im Mai 2015 gegründete nationale Schutzprogramm für Menschenrechtsverteidiger und Journalisten hat bislang keine Besserung der Lage gebracht. Es ist finanziell und personell zu schlecht ausgestattet und stößt angesichts weit verbreiteter Korruption und Straflosigkeit auf Misstrauen bei den Betroffenen. ROG fordert deshalb die Schaffung einer Institution, die bei Gewaltverbrechen gegen Journalisten unabhängig ermitteln kann und über qualifiziertes Personal verfügt, um mögliche Verbindungen zwischen solchen Taten und der journalistischen Tätigkeit der Opfer aufzuklären und öffentlich zu benennen.
EINSCHÜCHTERUNG DURCH VERLEUMDUNGSKLAGEN UND SCHMUTZKAMPAGNEN
Zum Klima der Einschüchterung und Selbstzensur tragen auch Verleumdungsklagen und Schmutzkampagnen gegen Journalisten bei. Besonders treffen die Repressalien Journalisten nichtkommerzieller oder oppositioneller Medien, weil diese praktisch die einzigen Alternativen zu den landesweiten Sendern im Besitz einflussreicher Unternehmer darstellen. Das trifft vor allem dann zu, wenn solche Journalisten über Themen wie Menschenrechtsverletzungen, Korruption oder das organisierte Verbrechen und seinen Einfluss auf die Politik berichten.
Ein Beispiel ist der Fall von Ariel Armando D’Vicente, Direktor und Moderator des unabhängigen Fernsehsenders Libertad TV. Im August 2016 wurde er wegen Verleumdung zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er über die mutmaßliche Verstrickung von Polizeioffizieren in den illegalen Viehhandel von Verbrecherbanden berichtet hatte (http://ogy.de/lwvk). Oder der Fall Julio Ernesto Alvarado: Gegen den Moderator beim oppositionellen, im Mai 2016 geschlossenen Fernsehsender Globo TV verhängte ein Gericht im Oktober 2015 ein Berufsverbot und setzte sich damit über einen Einspruch der Interamerikanischen Menschenrechtskommission hinweg. Hintergrund war eine Verleumdungsklage aus dem Jahr 2006 dagegen, dass Alvarado in seiner Sendung über Ermittlungen der Justiz gegen eine Universitätsdekanin berichtet hatte (http://ogy.de/1y47).
Jairo López, Moderator einer Nachrichtensendung beim Lokalsender Canal 21, wurde verklagt und mit einer Schmutzkampagne überzogen, nachdem er über Korruptionsvorwürfe gegen hochrangige Politiker und einen regierungstreuen Unternehmer berichtet hatte. Sein Prozess war von groben Unregelmäßigkeiten gekannzeichnet; unter anderem wurden einheimische und internationale Beobachter des Gerichtssaals verwiesen (http://ogy.de/fjca).
Vor dem Hintergrund der Straflosigkeit wirbt Reporter ohne Grenzen bei den Vereinten Nationen um die Einsetzung eines an zentraler Stelle im UN-Apparat angesiedelten Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten. Dieser sollte unter anderem als Frühwarnsystem für UN-Organe wie den Weltsicherheitsrat fungieren, wenn Staaten ihre völkerrechtlichen Pflichten zum Schutz von Medienschaffenden nicht einhalten. Außerdem sollte er Übergriffe gegen Journalisten untersuchen, Schutz- und Präventionsmechanismen vorschlagen und eine einheitliche Strategie der UN gegen das Problem der Straflosigkeit entwickeln. Als erstes Parlament weltweit hat sich im Juni der Bundestag hinter die Forderung von ROG gestellt, einen UN-Sonderbeauftragten für den Schutz von Journalisten zu berufen (http://t1p.de/ja7c).
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht Honduras auf Platz 140 von 180 Ländern weltweit. Weitere Informationen zur Situation in dem lateinamerikanischen Land finden Sie unter www.reporter-ohne-grenzen.de/honduras.
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